Schurken Wiki
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Dieser Artikel wurde im Februar 2023 als Artikel des Monats vorgestellt.

“[F]ür wen sich meine Patienten halten, bestimme ich.”

— Mathilde von Zahnd

Fräulein Dr. h. c. Dr. med. Mathilde von Zahnd ist die Antagonistin der erstmals 1962 aufgeführten Tragikomödie Die Physiker des Schweizer Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt, sowie dessen Adaptionen.

Im Fernsehfilm von 1964 wurde sie von der deutschen Schauspielerin Therese Giehse (* 1898; † 1975) dargestellt.

Biografie[]

Akt 1[]

Mathilde von Zahnd leitet ein Sanatorium auf ihrem Anwesen. In einem Block leben drei Patienten. Zwei von diesen geben sich als Albert Einstein bzw. Isaac Newton aus, während Möbius, der dritte, meint, ihm erscheine der alttestamentarische König Salomo.

Nachdem zwei Krankenschwestern von Einstein und Newton allem Anschein nach erdrosselt wurden, besucht Polizeiinspektor Voß das Ministerium und verhört zuerst die Oberschwester, dann auch Newton. In dem zweiten Gespräch stellt sich heraus, dass sich Newton auch für Einstein hält. Bei diesem Gesprächen erfährt der Inspektor von den grotesken Ordnungsprinzipien des Sanatoriums. So dürfen zwar die Patienten rauchen, nicht jedoch deren Besucher. Zudem werden die Physiker nicht als Mörder angesehen und deren Morde auf ihre psychischen Störungen zurückgeführt.

Als Voß Mathilde von Zahnd darüber informiert, dass auch Newton sich für Einstein halte, entgegnet ihm diese: „[…] für wen sich meine Patienten halten, bestimme ich“. Als Voß ihr klarmachen will, dass nach dem nunmehr zweiten Mord an einer Krankenschwester Sicherheitsmaßnahmen dringend erforderlich seien, suggeriert sie dem Inspektor, die Morde an den Krankenschwestern seien eine Folge der Deformation der Gehirne durch Radioaktivität. Da jedoch der dritte Insasse nicht mit Radioaktivität in Verbindung gekommen sei, gehe von ihm keine Gefahr aus. Außerdem mordeten Gesunde schließlich „auch und bedeutend öfter.“

Am Ende des ersten Akts ermordet auch Möbius seine Krankenschwester, da diese die Geheimhaltung seiner Forschung gefährdet.

Akt 2[]

Um weitere Morde der drei Physiker zu verhindern, werden die toten Krankenschwestern von Mathilde von Zahnd durch kräftige männliche Pfleger, allesamt Meister des Kampfsports ersetzt.

Der Inspektor, erneut zur Befragung erschienen, hat inzwischen die Ordnungsprinzipien des Irrenhauses akzeptiert und korrigiert in einem Verhör sogar Fräulein von Zahnd: Sie spricht von Möbius als einem „Mörder“, er nur von einem „Täter“. Sie spielt die Verwirrte und zeigt sich von Möbius' Verbrechen überrascht. Er lehnt die Verpflichtung zur Aufklärung ab und kapituliert vor einer Situation, die er ohnehin nicht ändern kann.

In einem Gespräch zwischen Möbius und von Zahnd redet er sich wie zuvor mit dem Hinweis auf den König Salomo heraus, der ihm nicht nur zu seiner Genialität verholfen habe, sondern ihm auch erschienen sei, um ihm die Anweisung zum Mord zu erteilen. Obwohl seine Verrücktheit nur gespielt ist, glaubt ihm Fräulein von Zahnd – ein Zeichen ihrer immer klarer zu Tage tretenden eigenen Verrücktheit.

Fast direkt im Anschluss offenbaren die Physiker ihre wahren Identitäten. Möbius hat die "Weltformel" entdeckt, sich aber, um diese vor Missbrauch zu schützen, ins Sanatorium einliefern lassen. Newton und Einstein sind eigentlich geheime Agenten, die für Ost- und Westblock stehen und für ihre Regierungen an die Weltformel gelangen sollen.

Als Möbius verrät, dass er seine Aufzeichnungen bereits verbrannt habe, erkennen die Agenten, dass ihre erneut aufflammende Rivalität sinnlos geworden ist. Möbius versucht, die beiden zunächst mit moralischen Gründen von der Notwendigkeit des Verbleibens in der Irrenanstalt zu überzeugen: Wissenschaft sei schrecklich geworden, Forschung gefährlich, deren Erkenntnisse tödlich. Als einzige verbleibende Möglichkeit sehe er die Kapitulation vor der Wirklichkeit und die Zurückhaltung seiner Erkenntnisse: „Nur im Irrenhaus dürfen wir noch denken. In der Freiheit sind unsere Gedanken Sprengstoff.“ Diese Überzeugungsarbeit fruchtet jedoch bei den Agenten nicht, sie wollen die Klinik trotzdem verlassen. Deshalb erinnert Möbius sie an ihre Morde: Falls sein Wissen an die Öffentlichkeit käme, wären die Morde vergeblich gewesen und aus den Opfern zum Schutze der Menschheit würden gewöhnliche Morde – und aus ihnen als Täter gewöhnliche Mörder. Er kann sie überzeugen, ihre Gefangenschaft als Sühne für die begangenen Morde anzusehen und so ihren Beitrag zur Rettung der Menschheit zu leisten. Der Ausgang des Theaterstücks scheint daher zunächst positiv: Die Helden opfern sich, die persönliche Schuld wird gesühnt, die gestörte Weltordnung scheint wiederhergestellt.

Fräulein von Zahnd lässt die Physiker von ihren Zimmern holen und entwaffnet die beiden Agenten. Sie erzählt, dass auch ihr der König Salomo seit Jahren erscheine und dass sie ihre Krankenschwestern absichtlich auf die drei Physiker angesetzt habe, sodass sie sterben mussten. Dadurch seien die Physiker als „Täter“ an die Anstalt gebunden worden, da sie außerhalb ja als „Mörder“ gelten würden. Fräulein von Zahnd klärt die drei darüber auf, dass sie Möbius' sämtliche Manuskripte bereits vor deren Vernichtung kopiert und für sich bewahrt habe. Damit bewahrheitet sich auf banale Weise die Behauptung: „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.“ Während die drei Physiker als vermeintlich Verrückte im Irrenhaus eingesperrt bleiben, wird die Anstaltsleiterin aus den Aufzeichnungen skrupellos Gewinn schlagen, ohne zu bedenken, welch große Gefahren in den neuen Technologien liegen – Technologien, die die ganze Menschheit vernichten können.

Persönlichkeit[]

Mathilde von Zahnd ist eine 55 Jahre alte, bucklige Irrenärztin, eine alte Jungfer, die Besitzerin und Leiterin des Sanatoriums und das letzte, scheinbar einzig normale Mitglied einer alten Adelsdynastie von reichen und bedeutenden Irren. Zunächst spielt sie die großzügige, menschliche Ärztin. Am Schluss fällt jedoch ihre Maske der scheinbar mütterlich fürsorglichen Samariterin, und sie gibt sich als eine machtbesessene, skrupellose einzige wirklich Wahnsinnige zu erkennen.

Dieser Wandel innerhalb des Dramas wird auch durch das zweimal wechselnde Porträt ihrer Vorfahren deutlich, denn jeder der drei porträtierten Vorfahren symbolisiert ihr Erscheinungsbild zum jeweiligen Zeitpunkt der Handlung. Mithilfe von Intrige und Manipulation hat sie sich Möbius’ genialer und gefährlicher Manuskripte bemächtigt und erweist sich als unkontrollierbare und bedrohliche dritte Macht.

Hinter den Kulissen[]

  • Der Satz „[…] für wen sich meine Patienten halten, bestimme ich.“, den von Zahnd im ersten Gespräch mit Inspektor Voß ausspricht, ist eine Anlehnung an das Zitat „Wer Jude ist, bestimme ich“ von Hermann Göring. Der Satz zeigt die Macht und Willkür der Anstaltsärztin und lässt sie zur Inkarnation des Bösen werden.
  • In der Verfilmung des Stücks aus dem Jahr 1964 wird Mathilde von Zahnd von der deutschen Schauspielerin Therese Giehse verkörpert.
  • Am 22. Juni 2017 veröffentlichte das Neo Magazin Royale in seinem Format Letzte Stunde vor den Ferien eine Parodie des Stücks. Ein Schüler hat hier am nächsten Tag seine Deutsch-Abiturprüfung und versucht, Dürrenmatts Drama zu verstehen. Neben Parodien von geschichtlichen Ereignissen und Lebensstil der 1960er-Jahre wird auch die vierte Wand durchbrochen. Mathilde von Zahnd als "Schlimmstmögliche Wendung" wird hier durch den 1-millionsten Gastarbeiter auf einem Moped ersetzt, der mit dem völlig entnervten Schüler wegfährt.
  • Daneben gibt es eine Opernversion, eine Hörspielversion und einen Comic zu Die Physiker.
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